Möchte euch diesen Text nahebringen - aus einer (zerwuzelten) alten Zeitung / Zeitschrift, wahrscheinlich nicht ganz komplett, aber für heutige Begriffe kaum vorstellbar!
Leider kein Hinweis auf Urheberschaft.
lg
musiker
Aus dem Leben eines Bahnwächters in den Achtziger Jahren
24 Stunden Dienst – 6 Stunden Ruhezeit
Der heutigen Generation der Eisenbahnbediensteten dürfte es völlig unbekannt sein, unter welchen unmenschlichen Verhältnissen in den Achtziger-Jahren, als noch keine Eisenbahnerorganisation bestand, ein Bahnwächter seinen Dienst verrichten musste.
Mein Vater, der im Jahre 1830 geboren ist, kam nach einer neunjährigen Militär- und Kriegsdienstzeit zur damaligen k. u. k. privilegierten Südbahngesellschaft und wurde um die Mitte der Sechziger Jahre Bahnwächter. Er versah diesen Dienst im Verlauf von 30 Jahren in Niederösterreich, im heutigen Burgenland, und in der Steiermark. Ich bin im Jahre 1875 geboren.
Als ich elf Jahre alt, also noch ein Schuljunge war, musste ich meinem Vater im Dienste helfen. Er war damals, im Jahre 1886, Bahnwächter auf dem Wächterposten 336 in Graz, wo die Straße nach Plabutsch die Eisenbahn überquert. Diese Bahnübersetzung hatte in dieser Zeit infolge der umliegenden industriellen Betriebe eine starke Frequenz von Fußgängern und Fuhrwerken; ein Übergangssteg bestand noch nicht.
Die Bahnanlage war dreigeleisig; zwei Geleise davon dienten dem Verkehr Wien – Graz, das dritte Geleise war ein Industrie- und zugleich Verschubgeleise. Es verkehrten damals auf der Linie Bruck an der Mur innerhalb 24 Stunden 48 regelmäßige Züge. Die Dienstzeit meines Vaters bestand in 24 Stunden Dienst und 6 Stunden Ruhezeit. Die Dienstablösung und Dienstübernahme erfolgte um 6 Uhr morgens, um 12 Uhr mittags, um 6 Uhr abends und um 12 Uhr nachts. Wenn er zu Mittag vom Dienst abgelöst wurde, nahm er zuerst das Mittagessen ein und legte sich dann ins Bett. Bis er einschlief war es zirka 1 Uhr. Zu den anderen Ablösezeiten war es nicht viel anders, weil er sich doch auskleiden und wieder anziehen musste. Eine halbe Stunde vor dem Dienstantritt musste er aus dem Bett, so dass er nur 5 Stunden wirklich schlafen konnte. Jeden Monat hatte er einen ganzen dienstfreien Tag. Für die Familie hatte er überhaupt keine Zeit, wie er die wenigen Ruhestunden für den Schlaf brauchte. Wenn er für sich oder für die Familie einen Weg zu besorgen hatte, musste er diesen in der Ruhezeit machen und hiefür den notwendigen Schlaf opfern. Auf dem Dienstposten in Graz konnte er in der Dienstzeit keine zehn Minuten ruhen, weil er durch den Verschub und den gleichzeitigen Personen- und Fuhrwerksverkehr fortwährend die Bahnschranken schließen und öffnen musste, was durch Tragen der Schranken besorgt werden musste. Die Strecke, die er zu bedienen hatte, war wohl nur 4 oder 5 Hektometer lang, aber er musste nebst der Bedienung der Übersetzung im Sommer die Strecke vom Gras (Unkraut) reinigen und im Winter den Schnee von den Schienen wegschaufeln. Wenn er diesen Pflichten nicht nachkam, bekam er eine Geldstrafe von einem bis zwei Gulden. Außerdem hatte er noch die Einfahrtssignalscheibe (Distanzscheibe) mit Licht zu versorgen.
Er war oft bei Eintritt der Dämmerung, wenn sich zugleich bei der Bahnübersetzung der Verschub abwickelte und mitunter auch noch ein einfahrender Zug fällig war, ganz verzweifelt, wie er die große Laterne vor Eintritt der Finsternis zum Einfahrtssignal bringen sollte. Wenn meinem Vater bei diesem angestrengten Dienst die Kräfte verließen, sprang ich als elfjähriger Bub ab und zu vor Mitternacht in den Dienst ein, damit er sich in der Diensthütte auf einer Holzpritsche ein paar Stunden erholen konnte. Die Frequenz der Straße war um diese Zeit geringer und das Verschubpersonal (Lokführer und Verschieber) kannten mich schon.
Nach einigen Gesuchen meines Vaters wurde dann endlich die Dienstzeit – aber nur für diesen Wächterposten – auf 12 Stunden Dienst und 12 Stunden Ruhezeit abgeändert.
Bald darauf wurde er auf den Wächterposten 316 bei Stübling versetzt. Dieser Wächterposten stand ganz in der Einsamkeit. Das Wächterhaus stand neben einem steil ansteigenden Berg und die Bahnstrecke war beim Wächterhaus von einer Straße überquert, auf welcher die Bauern Tag und Nacht Holzkohle nach Graz transportierten. Gleichzeitig fließt dort die Mur entlang der Bahnstrecke. Die Bauern schliefen bei der Heimfahrt von Graz meistens auf ihren leeren Wagen und verließen sich auf die Pferde, welche die Straße schon gut kannten. Die Bahnstrecke dieses Wächterpostens hatte eine Länge von 14 Hektometer und war durch ihre Biegungen (Kurven) unübersichtlich. Auch hier musste mein Vater im Sommer Gras putzen und im Winter den Schnee von den Schienen schaufeln. Die Dienstzeit auf diesem Posten war wieder 24 Stunden mit einer sechsstündigen Ruhezeit und einem freien Tag im Monat.
Infolge der Länge und Unübersichtlichkeit der Strecke war auf diesem Posten auch Frauendienst eingeführt, den meine Mutter besorgte. Viermal in 24 Stunden musste mein Vater mit den Kontrolltaferln die Strecke begehen. Darunter musste er einmal täglich mit der Dienstfahne, mit der Knallsignalbüchse, mit einem Hammer und einem Schraubenschlüssel sowie mit Schwellennägeln und Schienenschrauben ausgestattet diese Streckenbegehung vollziehen und hiebei die lockeren Schienenschrauben anziehen, die lockeren Schwellennägel festschlagen oder durch andere Nägel ergänzen.
Dazu kam noch das Avisotragen bis zum nächsten Wächterposten, wenn ein unregelmäßiger Zug verkehrte. Auch auf diesem Wächterposten habe ich meinen Vater oftmals im Dienst dadurch unterstützt, dass ich vor Mitternacht den Dienst versah. Wenn wir dem Vater mitunter eine ganze Nacht Bettruhe gönnen wollten, hat die Mutter nach Mitternacht den Dienst versehen.
Wenn ich des Vaters Dienst versah, zog ich Vaters Mantel oder Pelz an, setzte seine Pelzkappe auf, zog sie stark über mein Gesicht, stellte mich auf ein Schwellenstück, damit ich seine Größe hatte. Das tat ich, damit ich vom Lokführer oder von einem auf dem Zug befindlichen Inspektionsorgan nicht erkannt wurde. So habe ich vorschriftmäßig das Lichtsignal gegeben und dem Lokführer salutiert. Zweimal musste ich hiebei meinen Vater aus dem Bett jagen. Einmal kam das Glockensignal „Zug zerrissen“ und ein anderes Mal das Signal „Alle Züge aufhalten“. Da durfte ich als Schuljunge nicht der Diensttuende sein. Da musste der wirkliche und verantwortliche Bahnwächter zur Stelle sein.
Das Monatsgehalt eines Bahnwächters betrug damals je nach den Dienstjahren 17, 23, 27 und 30 Gulden. Mein Vater war auf der Strecke Graz – Frohnleiten der einzige Bahnwächter, der 30 Gulden hatte. Er war im Jahre 1873 Bahnwächter auf der Strecke Wien – Budapest und erhilet damals die 30 Gulden für erhöhte Dienstleistung anlässlich der in diesem Jahre in Wien stattgefundenen Weltausstellung.